Wednesday, April 2, 2014

Warum Real für den BVB leicht zu entschlüsseln ist

Real Madrid holte gegen die Top-Teams der spanischen Liga nur einen von zwölf Punkten. Die Taktik ist leicht ausrechenbar. Hier liegt die große Chance für Borussia Dortmund und Trainer Jürgen Klopp.

Manchmal sind Fußballspiele im wahrsten Sinne des Wortes epochal: Sie markieren ein Vorher und Nachher, sie schreiben die Geschichte um. Real Madrids 3:4 gegen den FC Barcelona vor zehn Tagen war so ein Spiel – nicht nur das spektakulärste Match des 21. Jahrhunderts, wie viele Beobachter schwärmten, sondern auch ein Ereignis mit so tiefen Folgewirkungen auf Mannschaft und Verein, dass sie in ihrer Gänze noch gar nicht abzusehen sind. Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Real Madrid ist seit jener Nacht nicht mehr dasselbe. Zumindest nicht in seiner eigenen Wahrnehmung.

Aus einem Team, das sich unter seinem italienischen Trainer Carlo Ancelotti auf dem Weg zum Gewinn aller Titel sah, ist eine Gruppe voller Zweifel geworden. Aus einer Mannschaft, die zuvor 31 Spiele am Stück nicht verloren hatte, eine, die drei Tage später in Sevilla gleich die nächste Niederlage kassierte (1:2).

Aus der "BBC", dem famosen Sturmtrio (Gareth) Bale – (Karim) Benzema – Cristiano (Ronaldo) mit seinen insgesamt 83 Saisontoren, eine Ansammlung von Individualisten, die sich untereinander streiten und beim Heimspiel am Samstag gegen Rayo Vallecano einer nach dem anderen ausgepfiffen wurden. Trotz eines 5:0 auf der Anzeigentafel.

Fans bitten Ronaldo um Verzeihung

"Real im Zustand der Embolie", schreibt "Marca" vor Borussia Dortmunds Besuch zum Champions-League-Viertelfinale, "nicht gerade das beste Szenario". Eine eher noch untertriebene Zustandsbeschreibung, wenn sich die Fanklubvereinigung genötigt sieht, einen offenen Brief an den Star der Mannschaft und Weltfußballer zu schreiben, um ihn um Verzeihung zu bitten. Ronaldo soll geschockt gewesen sein, dass auch er ins Visier des Publikums geraten war, weil er in der Schlussphase einmal nicht auf Einwechselspieler Alvaro Morata abgelegt hatte.

Es ist eben ein schmaler Grat zwischen dem, was in guten Zeiten Individualismus genannt wird und in schlechten Egoismus. Die Fans sahen, wie er sich gegen Rayo mehrmals ans Knie fasste, und fragen sich, ob er zugunsten seiner geliebten Rekorde – ein Tor fehlt noch zur Einstellung der Champions-League-Bestmarke von 14 Treffern in einer Saison – wirklich auch das nach dem 6:1 in Deutschland bedeutungslose Achtelfinalrückspiel gegen Schalke bestreiten musste, just die Partie, in der er sich seine Blessur einhandelte.

Und sie hatten noch die Bilder aus Sevilla vor Augen: Wie Ronaldo auf Bale einschimpfte, weil der ihm den letzten Freistoß weggeschnappt hatte. Wie Bale beim siegbringenden Angriff der Gastgeber gerade nicht auf dem Platz war – weil er an der Seitenlinie orangefarbenes Schuhwerk gegen gelbes tauschte.

Reals Spiel ist leicht ausrechenbar

Eine "Welle der Skepsis" sieht "El Pais" durch das Estadio Santiago Bernabeu schwappen. Real Madrid hat in den vergangenen Jahren so viel Geld für neue Spieler ausgegeben wie nie ein Verein zuvor in der Geschichte, mit zwei klaren Zielen – den Zyklus des FC Barcelona in Spanien zu beenden und nach 2002 wieder die Champions League zu gewinnen. Ersteres hat sich mit dem "Clasico"-Ergebnis mal wieder erledigt, zweiteres, so sehen es viele Experten, mit den taktischen Lehren des Spiels. Denn das zeigte brutal, wie systemimmanent die Schwächen der "Galaktischen" sind.

Auch aufgrund der Einkaufspolitik ist Real taktisch so leicht zu dechiffrieren wie wohl keine andere Spitzenmannschaft des Kontinents. Schon aus politischen Gründen muss schließlich der 101-Millionen-Euro-Einkauf Gareth Bale spielen. Er gibt offensiv zusammen mit Ronaldo ja auch eine formidable Flügelzange ab.

Aber das ist im zeitgenössischen Fußball eben immer nur die eine Seite, wie der Werdegang des FC Bayerns zeigt, der in dem Moment zur dominanten Champions-League-Mannschaft wurde, in dem Jupp Heynckes seinen Künstlern Arjen Robben und Franck Ribéry die Vorzüge der Abwehrarbeit nahebrachte.

Eine Autobahn in den Strafraum

Real dagegen zerbricht leicht in zwei Teile – weil Benzema nicht so abwehrfreudig ist wie Mario Mandzukic, vor allem aber, weil sich Ronaldo von defensiven Aufgaben fast komplett fernhält und Bale sich zwar gelegentlich darum bemüht, aber nur selten das taktische Verständnis aufbringt. Gegen schwächere Gegner fällt diese Enthaltsamkeit der Sturmreihe nicht sonderlich ins Gewicht. Stärkeren Rivalen eröffnet sie eine Autobahn zum Tor der Madrilenen.

Bereits eine Woche vor dem "Clasico" sagte Gerardo Martino, Barcelonas Trainer: "Ich kenne meine Aufstellung schon." Es ist ja auch so einfach: Er opferte einen seiner drei Stürmer zugunsten eines vierten Mittelfeldspielers und schaffte so eine permanente Überzahl im Zentrum. Wenn sich aus der Spitze noch Lionel Messi fallen ließ und die Außenverteidiger aufrückten, war Reals Defensivabteilung ohne Beitrag ihrer Stürmer heillos in Unterzahl.


Insbesondere die Außenverteidiger sehen sich dann vor einer fast unmöglichen Mission. Halten sie die Position, kommt der Gegner quasi ohne Gegenwehr durchs Mittelfeld. Rücken sie in die von ihren Angreifern nicht besetzten Lücken, öffnen sich gefährliche Räume hinter ihnen.

Nur einer von zwölf möglichen Punkten

Analog zu Barcelona hatten zuvor schon Atletico Madrid und die anderen Spitzenteams der spanischen Liga mit derselben Taktik gegen Real Madrid reüssiert, was für den aktuellen Tabellendritten zu einer verheerenden Statistik führt: Nicht nur wurde aus den direkten Duellen der drei Titelkandidaten nur einer von zwölf möglichen Punkten gewonnen, es gelang auch in den Auswärtsspielen gegen Athletic Bilbao (4.), Sevilla (5.) und Villarreal (7.) kein Sieg (beim Sechsten Real Sociedad spielt Madrid am Samstag).

Eine einzige große Partie hat Real in dieser Saison auf nationaler Ebene gewonnen, das Halbfinalhinspiel im Pokal gegen Atletico (3:0). Eher kein Zufall, dass Gareth Bale just an jenem Abend verletzt fehlte.

Sein potenzieller Ersatz Jese hat sich jedoch im Schalke-Spiel das Kreuzband gerissen. Nicht das einzige Problem, denn ausgerechnet der für das taktische Gleichgewicht zuständige Xabi Alonso wurde zuletzt von einer offenbar auch körperlich bedingten Formkrise befallen – er hatte zuvor immer noch die meisten Lücken stopfen können. Varianten jedoch pflegt Ancelotti bisher nicht, er wird bis auf den verletzten Marcelo wohl das gleiche Team auf den Platz schicken, das die Gegner längst durchschaut haben. In Spanien und gewiss auch in Dortmund.

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