Trainer-Legende Ottmar Hitzfeld wundert sich über die deutliche Bayern-Pleite gegen den BVB. Das 0:3 könnte ein Fingerzeig fürs Pokalfinale sein. Nicht aber für das Münchner Duell mit Real Madrid
Mit Borussia Dortmund gewann er zwei Mal die Meisterschaft und 1997 die Champions League, mit dem FC Bayern wurde er sogar fünf Mal Meister, drei Mal DFB-Pokal-Sieger und gewann 2001 erneut die europäische Königsklasse. Seit sechs Jahren ist der gebürtige Lörracher Nationaltrainer der Schweiz, zudem arbeitet er als TV-Experte für Sky.
Die Welt: Herr Hitzfeld, wie bewerten Sie den Sieg der Dortmunder beim FC Bayern?
Hitzfeld: Das ist eine dicke Überraschung. Vor allem, dass sie so deutlich gewinnen, war nicht zu erwarten. Zumal die Bayern ja ihre stärkste Mannschaft aufgeboten haben. Aber der BVB war an diesem Abend einfach deutlich besser. Dortmund hatte sich schon im Rückspiel gegen Real stabilisiert gezeigt, und jetzt haben sie die Kurve gekriegt.
Die Welt: Wie gefährlich ist es für die Ziele der Bayern, dass sie den Rhyhtmus offenbar verloren haben?
Hitzfeld: Nach dem Gewinn der Meisterschaft ist der Druck etwas abgefallen, ein bisschen ist die Mannschaft aus dem Rhythmus gekommen. Umso fokussierter wird sie jetzt auf die nächsten Spiele sein. Mit Blick auf ein mögliches DFB-Pokalfinale haben die Dortmunder sich mit dem Sieg psychologisch jetzt in eine gute Position gebracht.
Die Welt: Ist Real Madrid im Halbfinale der Champions League für die Bayern ein gutes Los?
Hitzfeld: Es ist ein Traumlos! Dass der FC Bayern zuerst auswärts spielt, sehe ich als großen Vorteil. Bayern hat gegen Real immer eine gute Figur gemacht. Die Mannschaft wird mit ihrer Klasse ins Finale einziehen, da bin ich optimistisch.
Die Welt: Denken Sie manchmal noch: Da wäre ich gern als Chefcoach dabei?
Hitzfeld: Ich habe mich entschieden, Nationaltrainer zu werden, weil ich den Alltagsstress als Klubtrainer mit rund 60 Spielen im Jahr nicht mehr wollte. Ich genieße diese Spiele jetzt einfach nur noch als Zuschauer oder als Experte bei Sky. Es war auch damals als Trainer ein Genuss, aber gerade bei solchen Partien war die Anspannung enorm.
Die Welt: Viele Fans finden die Bundesliga-Saison wegen der Dominanz der Bayern langweilig. Sie auch?
Hitzfeld: Zu Beginn war es noch spannend. Doch ich habe nach dem durchwachsenen Start der Dortmunder schon früh bemerkt, dass die großen Emotionen im Titelkampf fehlen werden. Ich sehe den BVB als einzigen Konkurrenten des FC Bayern. Die Leverkusener waren vor allem während der Hinrunde oben dran. Doch dann hat man gesehen, dass sie noch nicht die Substanz haben, um den Bayern gefährlich zu werden.
Die Welt: In der vergangenen Saison wurden die Bayern mit 25 Punkten Vorsprung auf Dortmund Meister. Wieso ist der Abstand in dieser Spielzeit wieder ähnlich groß geworden?
Hitzfeld: Der Abstand ist zu groß geworden, das finde ich für die Dortmunder Fans enttäuschend. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass der BVB in dieser Saison bislang unglaublich vom Verletzungspech verfolgt worden ist. Sie haben nicht diese Weltklasse-Ersatzbank wie der FC Bayern und können Ausfälle nicht so ohne Weiteres kompensieren. Trotzdem war die Borussia lange in allen Wettbewerben dabei und hat jetzt noch Chancen auf den DFB-Pokal, sie kann meines Erachtens nach zufrieden sein.
Die Welt: Braucht Dortmund mehr Stars, um den Abstand zu verkürzen? Reicht ein Zugang wie Adrian Ramos, um auch international das Niveau zu halten?
Hitzfeld: Dortmund verliert nach Mario Götze in Robert Lewandowski wieder einen Weltklasse-Spieler. Davor hatten Lucas Barrios und Shinji Kagawa den Klub verlassen. Es ist schwierig für einen Verein, der wirtschaftlich vernünftig handeln muss, nach solchen Abgängen wieder Weltklasse-Spieler zu verpflichten. Die Verantwortlichen der Borussia wissen, dass ihre Bank stärker werden muss. Der interne Konkurrenzkampf muss intensiver werden. Nur so kann die Mannschaft langfristig wieder um die Meisterschaft mitspielen.
Die Welt: Bei den Bayern ist es umgekehrt. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagte kürzlich in der "Welt", sein Klub dürfe es mit Transfers nicht übertreiben. Ist der interne Konkurrenzkampf bei den Bayern bereits jetzt ein schmaler Grat?
Hitzfeld: Der Kader ist außergewöhnlich. Aktuell ergibt es nur Sinn, jemanden zu holen, wenn jemand den Verein verlässt. So werden sie es im Klub auch diskutieren. Wenn sie nur kaufen, hat am Ende der Trainer ein großes Problem. So viele Stars zufriedenzustellen ist schwierig.
Die Welt: Toni Kroos konnte sich mit dem Verein bislang nicht über eine Verlängerung seines bis 2015 gültigen Vertrages einigen. Vor allem Manchester United soll ihn verpflichten wollen. Wäre ein Wechsel der richtige Schritt?
Hitzfeld: Schwer zu sagen. Toni muss mit dem Trainer sprechen. Das ist immer entscheidend. Er muss ein Gefühl für die Fragen entwickeln: Setzt der Trainer voll auf mich? Auf welcher Position sieht er mich? Das Geld sollte eine untergeordnete Rolle spielen. Wer bei Bayern als Nationalspieler unter Vertrag steht, wird dementsprechend entlohnt.
Die Welt: Guardiola begeistert mit seiner Art und seinem Spielsystem die Experten, Fans und Spieler. Was hat Sie bei seiner Arbeit bislang am meisten beeindruckt?
Hitzfeld: Man kann es nicht hoch genug einschätzen, wie er die Mannschaft in Sachen Pressing und Ballbesitz nochmal verbessert hat. Und bei der Passgenauigkeit. Das ist eine großartige Entwicklung. Er hat die Arbeit seines Vorgängers Jupp Heynckes sehr erfolgreich fortgeführt. Ich kann ihm nur ein großes Kompliment machen.
Die Welt: Welcher Bayern-Profi hat Sie in der bisherigen Saison besonders begeistert?
Hitzfeld: Xherdan Shaqiri. Als Schweizer Nationaltrainer gefällt es mir natürlich sehr gut, dass Guardiola oft auf ihn setzt. Und dass Xherdan oft gespielt hat, trotz der großen Konkurrenz auf seiner Position: Franck Ribéry, Arjen Robben, Thomas Müller, Mario Götze. Xherdan hat sich deutlich verbessert. Und Bastian Schweinsteiger hat nach seinen Verletzungen wieder den Rhythmus gefunden. Er ist schon in WM-Form. Die größte Überraschung freilich ist Philipp Lahm. Er dauerhaft auf der Position des Sechsers – damit hat wohl keiner gerechnet. Diese Erfindung von Guardiola ist einzigartig, eine unglaubliche taktische Entwicklung.
Die Welt: Gab es während Ihrer Bayern-Zeit je die Überlegung, Lahm im Mittelfeld aufzustellen?
Hitzfeld: Er war damals auf der Außenverteidiger-Position unverzichtbar. Heute kann dort Rafinha spielen, der in dieser Saison sehr gute Leistungen zeigt und sich gesteigert hat.
Die Welt: Bei der EM 2012 kam Schweinsteiger im Mittelfeld wegen gesundheitlicher Probleme nicht in Topform. Wie wichtig wird er in Brasilien für das deutsche Team?
Hitzfeld: Er ist für mich bei Bayern das Gehirn der Mannschaft. Alles läuft über ihn. Er ist ballsicher, kann Entscheidungen treffen, hat einen unglaublichen Instinkt und ist deshalb auch für die deutsche Mannschaft sehr wichtig. Er ist wie ein Straßenfußballer und ahnt viele Situationen voraus. Ich traue ihm eine große WM zu.
Die Welt: Guardiola will wie Heynckes das Triple gewinnen. Wovon ist der Erfolg dieser Mission abhängig?
Hitzfeld: Es ist für den Trainer nicht einfach, bei der Mannschaft immer wieder die nötige Spannung aufzubauen. Nach dem Meistertitel fällt die Konzentration automatisch etwas ab. Druck ist aber wichtig, er erzeugt automatisch auch immer Energie. Diesen Druck muss ein Trainer aufrechterhalten und in die richtigen Bahnen lenken. Bislang gelingt ihm das sehr gut.
Die Welt: Ein großes Thema ist derzeit Jürgen Klopp, der zuletzt mit Oliver Kahn und einem TV-Moderator aneinandergeriet und oft am Spielfeldrand tobt. Kahn empfahl Klopp indirekt, Sie als Vorbild zu nehmen. Sie hätten immer die Contenance bewahrt.
Hitzfeld: Das Lob von Oliver freut mich. Ein Trainer hat eine Vorbildfunktion, doch er lebt auch mit seiner Mannschaft, und da ist er schon mal emotional. Vor 30 Jahren habe ich mich nicht anders verhalten, ich bin die Seitenlinie rauf und runter getigert. Da gab es die Coaching-Zone noch nicht. Man versucht, Einfluss auf den Schiedsrichter und die Spieler zu nehmen. Irgendwann wird man ruhiger. Ich glaube, Jürgen Klopp wird mit 60 Jahren auch anders sein.
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